Wie kamen die Sorben nach Texas?
(Dies ist eine Übersetzung der von der Texas Wendish Heritage Society in Serbin, Texas, herausgegebenen Information. Die Sorben werden im amerikanischen Originaltext "Wends" oder "Wendish People" genannt, deshalb die Übersetzung in "Wenden".)
Im Dezember 1854 landete ein mit gut 500 Immigranten aus der Lausitz, einem Gebiet, welches Teile Sachsens und Preußens umfasst, beladenes englisches Segelschiff, die Ben Nevis, im Hafen von Galveston. Diese Immigranten waren nicht ein Haufen typischer Deutscher, Schweden, Tschechen und Polen, welche um 1850 nach Texas hereinströmten, auf der Suche nach billigem Land und wirtschaftlichen Gelegenheiten. Diese Gruppe war anders. Diese Gruppe brachte eine fremde neue Sprache in den Grenzstaat - die wendische Sprache. Und was noch außergewöhnlicher war: diese slawischen Pioniere, die sich in Lee County niederließen, kamen nicht wegen der Suche nach wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, sondern waren vielmehr auf der Suche nach religiöser Freiheit und dem Recht, ihre wendische Sprache zu pflegen. Die Wenden stammen von einer Gruppe slawischer Stämme ab, die eine weit verbreitete Sprache hervorgebracht hatten und im zehnten Jahrhundert einen Großteil Zentraleuropas besiedelten. Bis zum 19. Jahrhundert waren die Wenden aufgrund von Kriegen und durch die Aufnahme in andere Kulturen soweit dezimiert, das nur noch ein kleines Gebiet entlang der Spree von ihnen eingenommen wurde. Die wendische Auswanderung nach Texas war teilweise dadurch hervorgerufen, das die Preußen von den Wenden, oder Sorben, wie sie sich selbst nannten, verlangten, die deutsche Sprache zu benutzen; sogar ihre Namen sollten sie "eindeutschen". Die Unterdrückung der wendischen Minderheit betraf auch deren Arbeitsbedingungen: den Wenden wurde nicht erlaubt in ihren gelernten Berufen zu arbeiten. Wenn sie überhaupt eine Arbeitsstelle fanden, so erhielten sie einen geringeren Lohn als ihre deutschen Kollegen. Die preußische Agrarreform von 1832 enteignete den Wenden ihr Land, so das sie im Endeffekt Vasallen ihrer preußischen Herren waren. Am wenigsten konnten die Wenden jedoch dulden, dass von ihnen verlangt wurde, sich den evangelischen Reformkirchen innerhalb des staatlich regulierten Protestantismus anzuschließen. Die Wenden meinten, dieses Vorgehen würde ihren lutherischen Glauben verwässern und statt dem staatlichen Verlangen nachzugeben, machten sie Pläne, in die "neue Welt" auszuwandern.
Die Wenden organisierten die Reise unter der Führung ihres Pastors Jan Kilian. [Jan Kilian wurde in Döhlen geboren und war als Hilfsgeistlicher in Hochkirch tätig.] Pastor Kilian war ein Gelehrter und produktiver Schreiber, der viele Bücher, wie z.B. Luthers großen Katechismus und die Augsburger Konfession, vom Deutschen ins Wendische übersetzte. Er schrieb auch wendische Gebetbücher, Predigten, Lieder, Gedichte und andere Schriften. Kilian war dafür bekannt, Sonntag morgens die gleiche Predigt in Wendisch, Deutsch und Englisch zu halten. Kilian, ein Absolvent der Leipziger Universität, war ein starker Führer und folgerichtig der "Moses" dieser Auswanderer im 19. Jahrhundert.
Am 25. März 1854 wurde in Dauban eine neue Lutherische Gemeinde gegründet, die den Eckpunkt einer großen wendischen Auswandererbewegung bildete. Kilian stand dieser Bewegung vor.
Sehr wahrscheinlich wählte diese Gruppe Texas als Ziel, weil andere wendische Auswanderer glühende Berichte aus Texas übermittelten. Andere kleine Gruppen von Wenden wanderten in dieser Zeit auch nach Australien aus.
Trotz der auf der Reise zu erwartenden Opfer verließen in der ersten Septemberwoche 1854 558 Wenden ihre Häuser und Verwandten mit dem Ziel Texas. Die Gruppe reiste nach Liverpool, England, wo sie an Bord des Dreimasters Ben Nevis gingen.
Schon bald erlebten sie die erste Tragödie, als die Cholera zuschlug. Fünfzehn von ihnen starben, bevor das Schiff Irland erreichte. In Queenstown, Irland, wurde das Schiff drei Wochen unter Quarantäne gestellt und sorgfältig ausgeräuchert. Während dieser Zeit starben weitere 23 Menschen.
Schließlich, am 22. Oktober 1854, gingen die Wenden erneut an Bord der Ben Nevis mit dem Ziel Galveston.
Obwohl die Cholera überwunden schien, starben weitere 18 Menschen während der Überquerung des Atlantik. Die dezimierte Gemeinde kam in den ersten Dezembertagen in Galveston an, um dort von einer anderen Krankheit, dem Gelbfieber, heimgesucht zu werden. Viele erkrankten daran, doch nur einer starb, bevor die Wenden nach Houston ins Binnenland fliehen konnten.
Von Houston reisten die Wenden Anfang Januar per Ochsenkarren weiter ins Binnenland. Zwei Männer wurden voraus geschickt, um einen Platz zu finden, an dem man sich niederlassen konnte. Die lange und abenteuerliche Reise in eine neue Heimat endete auf der Anhöhe von "Rabbs Creek", heute Lee County, nahe Giddings. Hier kauften die Wenden ein Stück Land für einen Dollar pro Morgen. Der erste Winter war hart und Lebensmittel waren knapp. Viele Wenden lebten in Gräben und Blockhütten bevor richtige Häuser gebaut werden konnten.
Die Neuankömmlinge sahen 95 Morgen Land für die Lutherische Kirche und die Schule vor. Ungefähr eine Meile nordwestlich der Kirche, begannen die Kolonisten mit dem Bau ihrer Stadt, die sie "Serbin" nannten. Diese Stadt war die Hauptstadt ihres "Wendenlandes" in Texas, wo sie für immer ihre wendische Sprache und Kultur ausüben konnten.
Eines der ersten Vorhaben Pastor Kilians war die Beantragung der Mitgliedschaft in der "Missouri Synode". Die Lutherische Kirche St. Paul in Serbin war die erste von vielen texanischen Kirchen in dieser Vereinigung und hatte die einzige wendische Schule in Amerika.
Die heute zu sehende Lutherische Kirche St. Paul in Serbin wurde im Jahr 1871 fertig gestellt. Es ist ein schönes, wenn auch einfaches Gebäude, ganz offensichtlich ein Produkt der Handwerkskunst der Pioniere. Die einzigartige Innengestaltung zeigt einen Balkon um die ganze Kirche herum mit einer Kanzel fast 7 m über dem Boden. Früher saßen die Männer auf dem Balkon, während die Frauen die Kirchenbänke weiter unten einnahmen.
St. Paul ist eine der ältesten Kirchen in Amerika, die seit ihrer Errichtung kontinuierlich genutzt werden.
Viele wendische Gruppen von Kolonisten machten sich im späten 18. Jahrhundert auf zu anderen Gegenden von Texas. Sie formten "Unterkolonien" z.B. in Austin, Houston, Warda, Fedor, Swis Alp, Giddings, Port Arthur, Manheim, Copperas Cove, Vemon, Walburg, The Grove, Bishop und im Rio Grande Tal. Jedesmal bauten die Wenden eine neue Kirche und schlossen sich der Synode an, um so die synodalen Gemeinden in ganz Texas zu verbreiten.
In den neuen Gemeinden starb die wendische Sprache und Kultur bald aus. Nur in Serbin überlebten diese, und wendische Gottesdienste wurden dort bis 1921 gehalten. Heute sprechen nur noch wenige alte Leute die wendische Sprache.
Die große Ironie der wendischen Emigration besteht darin, daß die Anstrengung, eine reine wendische Kolonie zu schaffen, wo Sprache und Kultur bewahrt werden konnten, vergebens war, wegen der wirtschaftlichen und sozialen Realitäten in diesen Gebieten.
Überall in Texas, besonders in den Kirchenbüchern der Lutherischen Synode, findet man wendische Namen von der Passagierliste der Ben Nevis Namen wie Dube, Wukash, Zoch, Mirtschin, Noack, und viele mehr. In von den Wenden abstammenden Familien wird noch heute viel Wert auf biblischen Glauben und eine grundlegende Erziehung gelegt.
Heute können sich viele Texaner und andere Amerikaner, auch wenn sie sich dessen nicht bewußt sind, auf das mutige und faszinierende Erbe der Wenden berufen.
Quelle: http://www.uni-leipzig.de/~sorb/deutsch/texas.htm